Tagung untersucht aktuelle Gefährdungen der Demokratie und Möglichkeiten demokratischer Transformation von Herrschaftsverhältnissen.
In den Politiken des Krisenmanagements zeigt sich eine autoritäre Wendung des neoliberalen Projekts. Sie hatte sich bereits vor der Krise angedeutet, verdichtet sich jedoch zu einem «autoritären Konstitutionalismus» (Oberndorfer). Dies geht über eine postdemokratische Situation hinaus, in der formal fortbestehende demokratische Verfahren entleert werden. Hier geht es um eine offen autoritäre Setzung von Recht bei gleichzeitigem Bruch mit demokratischen Verfahren. Auch der von Stephan Gill einst beschriebene neoliberale Konstitutionalismus beruhte auf einer europarechtskonformen und zumindest vom passiven Konsens getragenen Verrechtlichung neoliberaler Dogmen. Der neue autoritäre Konstitutionalismus zählt weder auf Recht noch auf Zustimmung. Sein Zwangscharakter tritt nicht nur in Südeuropa offen zutage. Das vorläufige Ergebnis ist eine Spirale des Elends. Angesichts der Aufkündigung des demokratischen Konsenses werden auch von rechts die bestehende demokratischen Normen in Frage gestellt; rechte, nationalpopulistische und faschistische Parteien konnten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament massive Stimmengewinne verbuchen.
Demokratie ist eng verbunden mit bürgerlich-kapitalistischen Verhältnissen, aber unter diesen Verhältnissen keine Selbstverständlichkeit. Durch gesellschaftliche Tendenzen und Akteure wird sie vielfach eingeschränkt, bedroht oder gar in Frage gestellt. Gleichzeitig gibt es Tendenzen zum Ausbau und zur Demokratisierung der Demokratie: Protestbewegungen, Bürgerinitiativen, vielfältige Mitbestimmungs- und Beteiligungspraktiken sowie Formen der Selbstorganisation und -verwaltung. In der Krise sind auch die sogenannten neuen Demokratiebewegungen entstanden und erproben bei Platzbewegungen und daran anknüpfende Organisierungen emanzipative demokratische Formen.
Das Ziel der Tagung ist es, die Widersprüchlichkeit der gegenwärtigen Lage der Demokratie in den Blick zu nehmen, also Krisenmomente ebenso wie Möglichkeiten ihrer Erneuerung zu diskutieren: Welche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen tragen zu ihrer Schwächung und Erosion bei? Was läßt sich von den Praktiken demokratischer Partizipation erwarten? Sind die politischen Formen der Demokratie ausreichend zu Bewältigung der Krise der Demokratie? Wie reagiert die Demokratietheorie auf die aktuellen Herausforderungen – und was kann sie zu einer emanzipatorischen Veränderung der Verhältnisse beitragen?
Freitag, 28.11. (Seminarraum 1)
10 – 13 Uhr Gesellschaftliche Krisenprozesse und die Perspektiven der Demokratie
- Alex Demirović (Frankfurt, Berlin): Demokratie – ein «flottierender Signifikant» zwischen autoritären Tendenzen und emanzipatorischen Perspektiven. Gesellschaftliche Grundlagen der Demokratie
- Markus Wissen (Berlin, HWR Berlin): Demokratisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse
- Birgit Sauer (Wien, Universität Wien): Geschlechterdemokratie und Arbeitsteilung
- Kommentar: Rainer Rilling (Marburg/Rosa-Luxemburg-Stiftung)
Mittagspause
14 – 17:30 Uhr Demokratie und Partizipation – Versprechen und Versagen
- Lutz Brangsch (Rosa-Luxemburg-Stiftung): Bürgerbeteiligung als entscheidendes Feld politischen Lernens
- Andreas Eis (Universität Oldenburg): Partizipation und politisches Lernen in der postdemokratischen Aktivgesellschaft
Kaffeepause
- Thomas Wagner (Berlin): Das Steuer umdrehen: Die wachsende Kritik an Beteiligungsverfahren bietet eine Chance zur Erneuerung fortschrittlicher Politik in Europa
- Frank Fischer (Rutgers University, New Jersey): Ecovillages as Participatory Social Movements
19 – 21 Uhr Abendvortrag (Salon)
- Jodi Dean (Geneva, New York): Communicative capitalism and the challenge for the left
Samstag, 29.11. (Münzenberg Saal)
10 – 12 Uhr Zur Kritik der politischen Demokratie
- John Kannankulam (Frankfurt am Main, Universität Marburg): Der Verfall der Demokratie: Autoritärer Etatismus
- Lukas Oberndorfer (Wien, Arbeiterkammer): Autoritärer Konstitutionalismus und die Transformation von Staatlichkeit in der europäischen Krise
Mittagspause
13 – 16 Uhr Wo steht die Demokratietheorie? Was sind ihre Antworten auf diese Entwicklungen? Reichen sie aus?
- Dirk Joerke (Berlin, TU Darmstadt): Demokratie jenseits des Wählens – eine ideengeschichtliche Betrachtung
- Katrin Meyer (Basel, Universität Basel): Das Konzept der Volkssouveränität – kritische Überlegungen aus neo-republikanischer Perspektive
- Axel Rüdiger (Halle, Universität Leipzig): Der (Neo-)Jakobinismus in der Demokratietheorie
- Kommentar: Michael Brie (Rosa-Luxemburg-Stiftung)
16:30 – 19 Uhr Perspektiven der Demokratie in der Transformation
- David Salomon (Frankfurt, Universität Siegen): «Demokratisierung aller Lebensbereiche»? – Bilanz und Perspektiven sozialer Demokratie
- Isabel Lorey (Berlin): Präsentische Demokratie
- Mario Candeias: «Wirkliche Demokratie jetzt» – Von der Prekarisierung zu popularen Projekten einer verbindenden Partei