Wo Zukunft auf Gegenwart trifft

Die LINKEN-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger stellen ihr Zukunftsmanifest vor

Die LINKEN-Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger stellen ihr Zukunftsmanifest vor

 

Gemeinwohl-Ökonomie, Grundeinkommen, Industrie 4.0, solidarische Wirtschaft: Auf der Zukunftswoche gab es viele Konzepte für das Morgen, aber gab es auch den Raum für linke Utopien?

Von Robert D. Meyer

Gäbe es diesen einen passenden utopischen Roman, um den Charakter der »Linken Woche der Zukunft« zu beschreiben, Christian Gäbler hätte ihn gefunden. In der Pause zwischen einer Diskussion zur öffentlichen Daseinsfürsorge und einer Debatte zur solidarischen Ökonomie liest der 29-jährige Berliner am Samstag im Innenhof des Gebäudes Franz-Mehring-Platz 1 in einem Buch, dessen Titel und Einbandillustration es bereits wert wären, ein ausschweifend fantastisches Gespräch zu führen: »Weltgeist Superstar« lautet der Titel des 1980 vom schweizerischen Autor Hans Widmer unter dem Pseudonym P.M. verfassten Werkes, auf dessen Cover Karl Marx den Lesern aus einer knallig-bunten fliegenden Untertasse im Weltraum heraus entgegengrinst.

Das Buch handelt davon, wie der Gesellschaftstheoretiker gemeinsam mit einem Forscher von der Erde die Planeten des Universums bereist und die beiden auf Wesen treffen, die der Marxschen Gedankenwelt zu Kapital und Gesellschaft entsprungen sind. »Amüsanter kann man sich den Theorien und Vorstellungen von Marx nicht nähern. Fantastische Utopien sind auch immer die Flucht in ein besseres Übermorgen«, sagt Gäbler.

Utopie ist ein Wort, das in den vier Tagen der Zukunftswoche von den mehr als 600 Teilnehmern häufig gebraucht wird. Linke Konzepte für Zukunft von Morgen und Übermorgen zu finden, ist der hohe Anspruch dieses Kongresses, doch im Kern sind die über 80 Veranstaltungen mehr: Ideenbörse, Zukunftswerkstatt, ja und auch eine gewisse Form der Selbstbestätigung, dass die Linken wie auch die LINKE weiter mit Enthusiasmus an der Transformation der Gesellschaft arbeiten. Eben »die Verhältnisse zum Tanzen bringen«, wie es LINKEN-Chefin Katja Kipping auf dem Kongress, zu dem auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Linksfraktion im Bundestag beitrugen, nicht nur einmal betont. Oder um es mit den Worten des Schriftstellers Raul Zelik zu sagen, der, wie wohl die Mehrheit auf dem Kongress, die Überwindung des Kapitalismus als notwendige Konsequenz zum Überleben der Menschheit ansieht: »Eigentlich sind wir die einzigen Realpolitiker« und eben nicht jene, die das bestehende System erhalten wollen.

Von so viel Optimismus ging man noch nach der Auftaktveranstaltung am Donnerstag im Grünen Salon der Volksbühne kaum aus, als die Soziologin und Psychologin Frigga Haug gleich zu Beginn über Vergangenes sprach und daran anschließend für die Gegenwart und Zukunft linker Gesellschaftsvorstellungen die eher ernüchternde Bilanz zog, dass es seit dem Scheitern des real existierenden Sozialismus vor 25 Jahren kaum noch Menschen mit Utopien gebe.

Ganz so düster scheint die Zukunft dann aber doch nicht, wie Haug mit ihrem eigenen Modell eines Lebens nach der Vier-in-einem-Perspektive zeigen will. Die Idee: In Zukunft sollen Erwerbsarbeit, Reproduktion, Bildung und politische Teilhabe gleichberechtigt nebeneinander existieren, jeder Mensch solle die Möglichkeit bekommen, sich in allen vier Bereichen zu verwirklichen.

Darauf inhaltlich aufbauend oder zumindest begleitend wirbt die Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen der LINKEN für ihr Konzept. Auf einem großem Transparent sollen die Kongressteilnehmer mit kleinen roten Steinen markieren, was sie mit solch einem bedingungslosen Grundeinkommen in ihrem Leben verändern würden. »Mehr Zeit für die Familie, vielleicht ein Jobwechsel«, sagt Kathrin Eberhardt und legt ihre Steine in die entsprechenden Felder. »Aber das ist doch alles nur schöne Utopie«, meint sie nüchtern.

Vielleicht nicht den von vielen Teilnehmern erhofften großen gesellschaftlichen Wandel, aber dafür die gelebte Praxis in der Gegenwart hat Shai Hoffmann im Blick. Auf dem Podium zur solidarischen Ökonomie erzählt er von dem gemeinsam mit Freunden 2013 angestoßenen »Karma Chakhs-Projekt«. Weil die Freunde ein für zwei US-Dollar das Paar von einem großen internationalen Hersteller in Pakistan hergestellter Stoffschuh optisch begeisterte, sie aber weder die Ausbeutung der Näherinnen noch die Bedingungen der Bauwollproduktion unterstützen wollten, entwarfen sie gemeinsam mit anderen Interessierten via Internet ein eigenes faires Modell, das sich dank einer Solikampagne auch Käufer mit wenig Einkommen leisten konnten. Ein kleines Graswurzelprojekt, auf dem Hoffmann in Zukunft weiter aufbauen will.

Letztlich dürften solche Ideen auch Elmar Altvater gefallen. »Durch Kongresse wird man die Welt nicht verändern«, appelliert der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an seine Zuhörer, »Realpolitik mit utopischem Inhalt« zu gestalten. Bereits mit ersten Projekten in der Realität angekommen sind die auf mehreren Veranstaltungen diskutierten Commons, eine Idee der Gemeinwohl-Ökonomie, die im Kontrast zur besonders von digitalen Unternehmen wie Google oder dem Fahrdienst Uber vorangetrieben Shareconomy stehen.

Profitgeleitetem Teilen müsse eine Absage erteilt werden, mahnt die Ex-Piratin Anke Domscheit-Berg. Ihre Hoffnung auf eine linke Zukunft fußt auf der rasanten Entwicklung der digitalen Revolution, deren Potenziale nicht den Konzernen überlassen werden sollten. IG-Metall-Gewerkschafter Hans-Jürgen Urban aber mahnt, die Debatte werde noch zu stark durch Techniker und Naturwissenschaftler dominiert, deren Faszination für die Industrie 4.0 den Blick für die Probleme der Gegenwart verstelle.

Die Zukunft gestalten und dabei das Heute nicht aus den Augen verlieren – der Kongress versuchte über vier Tage diesen schwierigen Spagat, auch wenn wirklich neue Gesamtkonzepte für das Übermorgen fehlten und so manche Ideen auf dem Marktplatz der dargebotenen Visionen nebeneinander herliefen, ohne dass sie jemand zusammenführte. Für die Linken wie auch die LINKE wäre dies eine Herausforderung für die Zukunft.