Alles für die Einheit – Willi Münzenbergs Austrittserklärung aus der KPD

Er war Gründungsmitglied der KPD, Mitglied des Zentralkomitees, Abgeordneter im Reichstag: Dann richtete sich die Partei gegen den kritischen Geist Münzenberg. Im März 1939 kam er dem Rauswurf aus der KPD zuvor. Seine Austrittserklärung.

Der-Rote-Aufbau-TitelbildIch trenne mich schwer von einer Organisation, die ich mitgegründet undmitgeschaffen habe. Nachdem ich 1906 als junger Fabrikarbeiter Mitglied der sozialistischen Bewegung wurde, schloss ich mich 1915 als einer der ersten deutschen Sozialisten Lenin und der Bewegung an, für die ich fast 25 Jahre mit dem Einsatz meiner Person und nicht ohne Erfolg tätig war. Nach einem zweijährigen Konflikt mit der heutigen Leitung der Kommunistischen Partei wegen entscheidender politischer und taktischer Probleme u. a. in der Zielsetzung der Partei, in den Fragen der Einheitsfront mit sozialistischen Genossen, der Volksfrontpolitik, in den Methoden der Propaganda, den Grundbegriffen der innerparteilichen Demokratie und in der Auffassung über das Verhältnis der Partei zu dem einzelnen Mitglied, musste ich erkennen, dass eine Lösung dieser Fragen innerhalb der heutigen Parteiorganisation, eine Wiederherstellung der elementaren Mitgliederrechte und die Aufnahme einer Politik. die den Veränderungen seit 1933 Rechnung trägt, unmöglich ist.

Die widerspruchsvolle Politik der Partei, die nur in leeren Worten auf neue Aufgaben hinweist, ohne in den Kampfmethoden, in Form und Sprache der Propaganda Wesentliches zu ändern, ihre Unklarheit in der Zielsetzung, die die »demokratische Volksrepublik« fordert, ohne dass auf eine Einpartei-Diktatur verzichtet würde, das zwiespältige Verhalten in der Einheitsfronttaktik, das die Schaffung einer Einheitspartei der Arbeiterschaft postuliert und gleichzeitig die vorn VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale verurteilte alte »Taktik« fortsetzt, all das hat verhindert, in den sozialistischen und demokratischen Kreisen jenes Vertrauen für die Partei zu schaffen, ohne das eine Einheit nicht möglich ist. Wie kann aber eine Partei mit Erfolg politisch tätig sein, der die nächsten
Verbündeten kein Vertrauen schenken?

Neue Aufgaben
Ohne eine gründliche und vorurteilsfreie Analyse der strukturellen-ökonomischen Veränderungen und der erfolgten Wiederaufrollung der nationalen Probleme In der spätimperialistischen Phase des Kapitalismus, ohne eine Untersuchung der ökonomischen Folgen der nationalsozialistisch dirigierten Zwangswirtschaft, der Veränderung der sozialen Lage der deutschen Mittelschichten, Bauern und breiter
Kreise der Arbeiterschaft, ist eine realpolitische und wirkungsvolle Propaganda nicht möglich. Man kann nur den Feind schlagen. den man kennt. Die Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes auf allen Gebieten haben eine psychologische Massenstimmung und ideologische Vorstellungen im deutschen Volke geschaffen, die die sozialistische Arbeiterbewegung vor neue Aufgaben stellt und sie in die Lage setzt, bei einer richtigen Politik die Mehrheit des deutschen Volkes in den Kampf gegen das Hitlerregime
führen zu können.

Die stolze Tradition
Für die kommunistische Bewegung und ihre Ideen haben sich seit 1918 Tausende, Zehntausende und Hunderttausende deutscher Arbeiter mit einer Opferbereitschaft und einem Heroismus geschlagen,
wie sie in der Geschichte beispiellos sind. Es gibt keine Bewegung, die eine stolzere, aber auch an blutigen Opfern reichere Tradition hat, als die Kommunistische Partei Deutschlands. Allein die Tatsache aber, dass Tausende und Zehntausende leiden und bluten, ist noch kein Beweis, dass die von der Leitung durchgeführte Politik richtig ist. Nicht der ist der beste General, der mit den größten Verlusten die
geringsten Erfolge erzielt, sondern derjenige, der mit den geringsten Opfern die größten Siege erringt.
Mit Recht wird in der Partei und in der Arbeiterklasse immer mehr die Forderung laut, den Kampf so zu organisieren, dass die Opfer nicht vergebens fallen. Ein junger Kommunist schrieb kürzlich: »Wir
wollen nicht immer geschlagen werden.« Das ist aber nur möglich, und die Lage kann entscheidend nur geändert werden, wenn die antifaschistische Front das Gesetz des Handelns wieder an sich reißt.
Die Voraussetzung dazu ist die Schaffung einer Kraft, die stark und mächtig genug ist, den Kampf mit Aussicht auf Erfolg aufzunehmen. Diese Aufgabe kann nureine Arbeiterklasse erfüllen, die die Spaltung
ihrer Bewegung liquidiert und die Einheit wieder hergestellt hat.

Wie schafft man die Einheit?
Die Arbeitermassen wollen die Einheit, aber die ehrliche, ungeteilte politische und organisatorische Einheit der Arbeiter in einer Einheitspartei. Diese Einheit ist mit der Fortsetzung der vom VII. Kongress der Kommunistischen Internationale verurteilten »Einheitstaktik« mit den früheren Einheitsmanövern, mit Zellen- und Fraktionsarbeit nicht zu erreichen; diese Taktik hat nur verheißungsvolle Ansätze in der
Einheitsbewegung zerstört. Die ständige politische Einheit wird nicht erreicht durch das tägliche Geschrei »Zwingt die Bonzen« und durch Drehungen, sondern nur nach Klärung der politischen und grundsätzlichen Differenzen, auf dem Wege der Verhandlungen und einer kameradschaftlichen
Verständigung mit der Gesamtheit der Sozialdemokratischen Partei und ihren Gruppen. Das Programm der Einheitspartei muss den sozialistischen Forderungen der vielen Millionen deutscher Arbeiter, der proletarisierten Mittelschichten und der verarmenden Bauern entsprechen. Nur eine Einheitspartei mit einem solchen Programm, das im Einzelnen kollektiv auszuarbeiten ist, kann die Massen mobilisieren
und die soziale Demagogie des Hitlerfaschismus enthüllen und zerstören. Das sozialistische Programm der Einheitspartei wird nicht hindern, ohne in die Fehler der alten Koalitionspolitik zu verfallen,
eine Bündnispolitik neuen Stils mit den nichtproletarischen Volksmassen und demokratischen Gruppen zu betreiben. Bündnisse mit bürgerlichen Gruppen sind für die Arbeiterklasse nur von politischem
Wert, wenn sie mit solchen Gruppengeschlossen werden, die eine eigene realpolitische Kraft darstellen und Vertreter oppositioneller Massenströmungen des deutschen Bürgertums und der unterdrückten
Intelligenz sind. Einheitskomitees mit sogenannten Sympathisierenden, die ihrem politischen und organisatorischen Verhältnis nach Kommunisten mit allen Rechten ohne Pflichten sind, sind sinnlos.

Demokratische Lösung der nationalen Frage?
Die Schaffung einer nach allen Seiten unabhängigen Einheitspartei ist von größter Bedeutung weit über die Grenzen unseres Landes hinaus. Nur der entscheidende Einfluss einer solchen Partei auf die Geschicke unseres Landes wird, zum ersten Male in der Geschichte, dazu führen,dass die nationale Frage Deutschlands und die Fragen der Gestaltung Mitteleuropas nicht reaktionär-faschistisch oder monarchistisch, sondern in einem demokratischen und sozialistischen Sinne gelöst werden. Das ist der Beitrag, den unser Land zu einer bleibenden Befriedung Europas und der Welt leisten muss.
Das Schicksal Deutschlands ist heute zum Schicksal Europas geworden. Die Geschichte hat es gewollt, dass der Befreiungskampf der Mehrheit des deutschen Volkes mit den Lebensinteressen der Sowjetunion und der großen demokratischen Bewegungen in allen Ländern zusammenfällt. Das Verhältnis zu diesen historisch gegebenen Verbündeten wird umso enger sein, je größer die Kraft der
Einheitspartei in ihrer Einheit und Geschlossenheit ist. Die Einheitspartei der deutschen Arbeiter
wird helfen, neue internationale Aktionen und die Bestrebungen zur Schaffung einer neuen internationalen Einheit zu fördern.

Aufgaben heute und morgen
Der gewaltige Kampf gegen das Hitlerregime, für den es kein Beispiel in der Geschichte gibt, kann nur gewonnen werden, wenn wir frühere Fehler vermeiden, die Spaltung überwinden, die Einheit schaffen und durch Zusammengehen mit allen freiheitlichen oppositionellen Kräften verstärken. Alle Gegensätze, Risse und Gruppierungen im feindlichen Lager müssen ausgenützt und vertieft werden. Den zähen, heroischen illegalen Kampf müssen wir geschickt mit einer elastischen Taktik verbinden, wir müssen lavieren, Kompromisse eingehen, paktieren, wenn notwendig Rückzüge durchführen, bei günstiger Gelegenheit umso stärker vorstoßen, kurz, wir müssen jede, aber auch jede Möglichkeit weise ausnützen,
um den Sturz und die Vernichtung der blutigen faschistischen Diktatur zu beschleunigen. Wir müssen alle in diesem Kampf notwendigen Kampfmethoden, alle Kampfmittel und Waffenarten herrschen und jeweils die Waffe anwenden, die in der gegebenen Situation dem Gegner am gefährlichsten ist und ihn am schwersten trifft. Die große sozialistische Aufgabe nach dem Sturz der Hitlerdiktatur wird im Einzelnen
mitbestimmt durch die Verhältnisse, unter denen die Arbeiterklasse die Macht übernimmt. Die Aufgabe wird u. a. darin bestehen, in der antifaschistischen Revolution der arbeitenden Klassen in Gemeinschaft mit den demokratischen Verbündeten den Feind politisch zu vernichten, seine Machtpositionen zu
zerstören und eine Gegenrevolution in irgend einer Form für immer unmöglich zu machen. Die Aufgabe wird auch darin bestehen, ein Abgleiten des Revolutionsprozesses in eine bürgerliche Kapitulationspolitik
(1918) oder in die Herrschaft eines unkontrollierten Parteiapparates über die Arbeiterklasse zu verhindern.

Der Mensch ist entscheidend
Die Arbeiterpartei muss sich zu den Grundprinzipien der klassischen Arbeiterbewegung bekennen, zu der Unverletzlichkeit und Unantastbarkeit der innerparteilichen Demokratie und des Mitbestimmungsrechtes aller Mitglieder. So wahr es ist, dass trotz aller Motorisierung und Technisierung der Kriegsmaschine der Krieg letzten Endes nur von den Menschen entschieden wird, so wahr ist es, dass die proletarische Revolution nur von Menschen gewonnen werdenkann und zwar von solchen Menschen, die von der Richtigkeit der durch eigene Erkenntnisse gewonnenen Ideen überzeugt
sind und in freiwilliger revolutionärer Disziplin die größten Leiden und Opfer auf sich nehmen und durch ihr Beispiel in der Stunde der Entscheidung die Massen mitreißen und zum Siege führen. Mit reglementierten, kommandierten und schikanierten toten Seelen ist der revolutionäre Krieg nicht zu gewinnen. Der Sozialismus stellt das Wohlergehen des Menschen in den Mittelpunkt aller wirtschaftlichen und staatlichen Maßnahmen und alle sozialistischen Bestrebungen dienen nur diesem einen Ziel, das Leben des Menschen unabhängiger, sicherer, freier und schöner zu gestalten.
Der Faschismus verneint die Persönlichkeit, unterdrückt und erniedrigt den Menschen und sieht in ihm nur Maschinenfutter für die Produktion und Kanonenfutter für den Krieg. Sozialismus und Freiheit sind das Ziel der sozialistischen Bewegung und gleichzeitig sind diese Forderungen das wirksamste Sprengmittel im propagandistischen Kampfe gegen den faschistischen Feind. Ich habe geglaubt, die Anerkennung dieser politischen Prinzipien innerhalb der Kommunistischen Partei, wenigstens eine
freie und öffentliche Diskussion in ihrem Rahmen erreichen zu können. Ich habe mich geirrt. Nach einem Konflikt von über zwei Jahren habe ich eingesehen, dass dies unmöglich ist. Es wird verhindert durch
eine Organisationsform, die mit der der ursprünglichen Partei wenig gemeinsam hat, durch das Übergewicht eines bürokratischen Apparates, der das Parteileben beherrscht und durch eine Leitung, die sich trotz aller Niederlagen seit 1933 unfehlbarund unersetzbar dünkt. Ich trenne mich von dieser Leitung und ihrem Apparat, aber ich trenne mich nicht von den Hunderten, vielleicht Tausenden,
die willkürlich, ohne Grund, ohne Verfahren, ohne die Möglichkeit einer Verteidigung widerrechtlich von anonymen Stellen entfernt, »abgesägt«, »abgehängt « und ausgeschlossen wurden. Ich trenne mich nicht von den Tausenden, mit denen ich seit 1906 zuerst in der sozialistischen und später in der kommunistischen Bewegung gekämpft habe und die heute in Deutschland mit den im täglichen
Kampf neu entstehenden jungen Kadern illegal weiterarbeiten. Ich ändere meine Stellung nicht zu der
Sowjetunion, dem ersten Land eines sozialistischen Aufbaus, dem großen Friedensgaranten und dem wichtigsten Verbündeten für den Kampf und den Aufbau eines neuen Deutschland, von dem Land,
für das ich 1921 und später in so hohem Masse tätig sein konnte. Ich gedenke weder eine Fraktion In der
Partei zu schaffen, noch meine Tätigkeit auf eine Gruppe zu beschränken. Ich werde fortfahren, wie bisher, mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften für die Schaffung einer großen, umfassenden
Einheitspartei und für die Entfachung einer breiten, mächtigen Volksbewegung tätig zu sein, die stark genug ist, das Hitlersystem zu stürzen und ein neues Deutschland zu schaffen. Und so behalte ich den Platz, den ich seit 1906 neben Karl Liebknecht, später neben Rosa Luxemburg,Clara Zetkin und 1915 neben Lenin gewählt habe, den Platz in den Kampfreihen des revolutionären Sozialismus.