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Rund um die Aufstände des 17. Juni 1953 gibt es bis heute zahlreiche Legenden und ideologisch motivierte Interpretationsansätze der Ursachen und des Verlaufs, behaupten die Historikerin Dr. Renate Hürtgen und der Publizist Bernd Gehrke. Im Rahmen der Münzenberg-Lektionen stellten sie die Mythen um den Arbeiteraufstand auf den Prüfstand. Ihre Antworten dürften selbst so manchen Linken provozieren.Womit wir bereits mitten im Thema angekommen wären. Handelte es sich bei den Protesten um einen Arbeiter- oder, wie später besonders durch westdeutsche Historiker behaupteten „nationalen Volksaufstand“, mit dem Ziel eines Anschlusses an die BRD? Was aus Sicht von Hürtgen und Gehrke heute allzu gern vergessen oder im Zuge einer eher konservativen Sicht auf die Geschichte unter den Tisch fällt: Den Demonstranten ging es um mehr als eine Rücknahme der zehnprozentigen Normerhöhung und eine vermeintliche Angliederung an das BRD-System. Viele Demonstranten verfolgten soziale, antimilitaristische und demokratische Ziele. Zwar forderte man die Zurückdrängung der SED-Staatspartei aus den Betrieben und einen Rücktritt der Regierung, doch als Anbiederungsversuch an die Bundesrepublik unter Adenauer war dies keinesfalls zu verstehen. Viel mehr ging es um freie Wahlen in ganz Deutschland.
Allein aus diesem Grund scheint es absurd zu glauben, die Proteste wären durch den Westen initiiert worden, wie manche Linke bis heute behaupten. Das es einen Einfluss, insbesondere aus Westberlin gab und über die Grenze gekommene Schlägertrupps die Stimmung mit anheizten, bezweifeln auch Hürtgen und Gehrke nicht. Widerspruch gab es für diese These aus dem Publikum dennoch. So meinte einer der Zuhörer, er habe die Krawallmacher damals doch selbst gesehen, wie sie Läden attackierten und plünderten. Berlin nahm in diesen Tagen allerdings eine Sonderstellung ein. Grundsätzlich hätten diese Krawallmacher nicht den Charakter der Protestbewegung beeinflusst, so Hürtgen und Gehrke. Ohnehin wäre es falsch, den Aufstand allein auf den Tag des 17.Juni zu reduzieren. Der Protest brodelte bereits Tage zuvor (Erste Tumulte gab es etwa am 12.6. vor mehreren Gefängnissen). Sein wirken war längst nicht auf Berlin begrenzt, sondern betraf Orte in der gesamten DDR – besonders jedoch die Industriezentren des Landes. Woher die westlichen Provokateure, etwa in Leipzig, hätten kommen und Einfluss nehmen sollten, lässt der von manchen Linken bevorzugte Erklärungsversuch allerdings offen.
Doch selbst linke Intellektuelle, wie der Schriftsteller Stefan Heym, saßen der Legende vom importieren Aufstand auf. Heym glaubte fest an einen westlichen Provokateur, wie sein Buch Fünf Tage im Juni Jahre später belegte. Diese Sicht sollte erste viel später durch die wissenschaftliche Aufarbeitung korrigiert werden.
(Text: Robert D. Meyer, Bilder: Jenny Schindler)